??, Du Gott, der für mich aufsteht.

Ja, da sitz ich nun, 10 Tage nach „Ende“ der Exerzitien auf der Straße in Berlin vom 25.04.08 – 4.5.08 und denke es ist richtig, wenn ich sage, Nein, nicht das Ende sondern erst der Anfang ..
Anfang von was?? Das wird sich erst noch zeigen!
Habe meine Heft vor mir liegen und könnte detailliert meinen Bericht von jedem Tag aufschreiben – wahrscheinlich würde es sich als wunderschöne Geschichte lesen.

Genau so ergeht es mir momentan, wenn ich erzählen soll – wunderschöne Geschichten – da überkommt mich immer so ein komisches Gefühl, irgendwas stimmt nicht. Ich mag das so nicht erzählen, denn es ist viel, viel mehr als eine wunderschöne Geschichte.

Gott ist mir begegnet, hat intensiven Kontakt mit mir aufgenommen, dass geht so tief, ER hat mich in meinem Innersten berührt, das kann ich nicht richtig in Worte fassen.
Warum?? , hab ich abends in der Runde gefragt. Warum nicht!!!, war die Antwort.

Das stimmt so. Jetzt beim reflektieren zu Hause habe ich erkannt, dass ich nicht richtig gefragt habe.
Was will mir Gott mit all dem Erlebten sagen, was will er in mein Herz legen ??!!
Da suche ich Antworten und finde sie auch teilweise! Für manches brauche ich sicher auch keine Antwort – einfach nur dankbar annehmen. Es gab so viel größere und kleinere Freuden für mich.
Wichtig ist mir über die große Freude in der Begegnung mit ganz lieben, wunderbaren Menschen zu schreiben.

Du Gott, der mich durch Menschen berührt.
Da ist mal die Gruppe von Übenden und unsere Begleiter, die in diesen 10 Tagen so zusammengewachsen ist. Die Achtung und gegenseitige Zuneigung zueinander ist ein großes Geschenk. So fremd und zum Schluss uns so Nahe. Die verschiedenen Wege miteinander zu gehen, füreinander da zu sein, zu beten, zu lachen, zu kochen, zu essen … einfach gigantisch.

Die Aufmerksamkeit füreinander! Freude pur!
Die Menschen in der Naunyn und Drumherum! Es hat mich total gefreut mit soviel Zuneigung und Freude wieder begrüßt zu werden. Ja, dass man sich noch an mich erinnert hat, obwohl ich ja im Januar nur ein paar Tage dort war. Darüber bin ich total glücklich, habe in diesen Exerzitien auch festgestellt, dass ich dort noch ein Zuhause, ein Stück Heimat habe.

Es erfüllt mich mit Dankbarkeit und Stolz.
In all den Begegnungen spüre ich Gottes Liebe und damit eine tiefe Freude.

Nun zu dem Erlebten und der Frage, was Gott mir damit sagen will!
Mit einer ganz merkwürdigen Erschöpfung, Müdigkeit in meinem Kopf fing es an. Es ging mir gut, solange ich aktiv war, sobald ich mich setzte, ruhig wurde hat mich diese Müdigkeit im Kopf gepackt. So saß ich ziemlich verbogen auf Parkbänken, musste vor Erschöpfung den Kopf auf den Tisch legen, fand im Bett nicht die gewünschte Ruhe und auf dem Sofa in der Naunyn auch nicht. Verrückt! So entstand mein Wunsch nach einem Liegestuhl, an etwas, wo ich meinen Kopf gemütlich anlehnen und die Augen schließen konnte.

Bei einem Gespräch mit Renate darüber, erzählte sie mir, dass es in Berlin Kaffees gibt, die außer Stühle auch noch Liegestühle haben. Sie hat mir den Weg erklärt. Dort wollte ich auf meinem Weg zur Arbeitsvermittlung halt machen, mich hinlegen und einen Espresso trinken. Lachend und spöttelnd kam dann meine Aussage:

So ich geh jetzt und suche Gott und einen Liegestuhl.

Beim Admiralsplatz hab ich dann erst mal Halt gemacht, Schuhe ausgezogen.
Die Schuhe: ich dachte, glaubte ich wüsste… so stand dort.
Dann weiter zur Brücke und was sehe ich da:

Eine Frau strickend in einem alten „Liegestuhl“ (so an den Lehnen verstellbarer Klapp-stuhl). Eine Zeitungsverkäuferin. Die hat einen Liegestuhl, dacht ich amüsiert. Als ich zu ihr kam, hat sie mich sofort angesprochen. Erzählt was sie strickt und das sie ja was tun muss. Beginnt mir von ihrem Leben zu erzählen. Es kimmt, wie es kimmt! Mehrmals! Ja und dass der liebe Gott ihr das Leben gegeben hat. Muss ich es nehmen wie es ist. Es kimmt, wie es kimmt. Spricht von ihrem Vertrauen in Gott, trotz ihres schweren Lebens. Als ich weiter wollte, hat sie mich gebeten zu bleiben. Ich wollte mich neben sie auf den Boden setzen. Nichts da, sie steht sofort auf und lässt mich in ihren Stuhl. Sie will stehen. Ich soll unbedingt sitzen.

Ich halte es kaum aus. Da sitze ich nun in einem Liegestuhl und durch die Frau, eine arme Russin, schaut mich Gott an. Unfassbar! Bin tief berührt von dem was sie mir alles erzählt. Ich höre ihr hauptsächlich nur zu und es treten mir Tränen in die Augen. Ich bleibe bei ihr, bis sie auch gehen muss.

Bin dann nur noch fassungslos und überwältigt spazieren gegangen.
Du Gott, der für mich aufsteht!! Warum? Warum nicht!
Am nächsten Morgen bin ich wieder zum Admiralsplatz, habe nachgespürt ob mich dort was bewegt, nichts, absolut nichts. Wurde richtig sauer weil ich nicht wusste was tun. Total genervt bin ich aufgestanden, wollte wieder zurück, da fiel mein Blick auf die Brücke und das saß sie wieder meine Frau im Liegestuhl. Warum sollte ich eigentlich nicht wieder zu ihr. Blöd eigentlich nicht zu gehen. So bin ich in eine Bäckerei habe 2 lecker gefüllte Brötchen gekauft und bin los zu ihr. Na und was sehe ich da, Carsten aus der anderen Gruppe sitzt neben ihr! Ohne Schuhe! Oje, da stör ich bestimmt, doch kann ich nicht zurück. Ich kann die Frau auch nicht verleugnen. So bin ich hin und was macht sie. Sie springt richtig aus ihrem Liegestuhl und macht Platz für mich. So da sitz ich wieder!

Ich reiche ihr das Brötchen und nehme meins in die Hand. Da schaut sie mich an, bricht das „Brot“ und reicht eine Hälfte Carsten, mit den Worten: Der liebe Gott hat gesagt, man soll teilen. Mir schießen die Tränen in die Augen und zutiefst bewegt denke ich, so, hier wird gerade Gottesdienst gefeiert.
Da ziehe auch ich meine Schuhe aus.
Na, meinte sie in ihrem russischen Dialekt, jetzt sitzt die auch noch barfuss da.
Carsten geht weiter, ich sitze im Stuhl und sie erzählt wieder von sich.

Leute gehen vorbei, sie wird von allem ganz lieb gegrüßt und sie erzählt mir vom Leben der verschieden Leute. Ich werde als ihre neue Angestellte oder Mitarbeiterin bezeichnet.

Habe sogar versucht, Zeitungen zu verkaufen. Ein Mann kommt und bringt ihr
2 Bilder von ihr, wie sie an der Brücke sitzt. Toll, denke ich, die kann sie ihren beiden Söhnen schicken, doch sie schenkt eines mir. Ihren Söhnen kann sie die Bilder nicht schicken, die würden sich schämen. Ihr macht diese Arbeit nichts aus, im Gegenteil sie muss doch irgendwas tun. Immer wieder redet sie vom lieben Gott. In der Art wie sie über ihre beiden Söhne spricht und in ganz vielem, kann ich mich wieder finden. Vorwiegend bin ich nur die „Hörende“ – Zuhörende.

Sie lässt mich nicht gehen und so sitze ich bis zum Schluss. Sie schenkt mir sogar eine Zeitung, die ich dann an einer Bushaltestelle weiter verschenke.
Ich fand Gott und einen Liegestuhl. Es kommt, wie es kommt! Will Gott mir sagen ich soll nicht ständig sorgenvoll in die Zukunft schauen. Es kommt wie es kommt, doch er ist dabei. Er steht für mich auf, damit ich mich anlehnen, ausruhen, entspannen kann. Ich bleib bei dir stehen, du kannst dich ruhig zurücklehnen. Verkopf dich nicht so, denk nicht soviel daran was sein wird…Vertrau! Es kommt, wie es kommt.

Am nächsten Tag kam ich wieder bei ihr vorbei, da mich das Heimweh nach meinen Eltern zum Friedhof gedrängt hat.

Sie hat mich gefragt ob ich sitzen möchte oder ob wir uns zusammen auf so Sockel setzen sollen. Hab mich kurz zu ihr gesetzt, dann hat sie mir eine bunte Ente zeigen wollen und so bin ich weiter zum Friedhof. Ich habe ihr erzählt warum, sie hat es verstanden und mich gebeten wieder bei ihr vorbeizukommen. Bis 13 Uhr sei sie da.

Es herrschte eine traumhaft schöne Atmosphäre auf dem Friedhof. Frieden und Ruhe! Sonne und Blumen. Dort habe ich meine Schuhe der Unruhe ausgezogen. Gebetet und bin innerlich total ruhig geworden, wie schon ewig nicht mehr.

Auf dem Rückweg hab ich mich verlaufen und so die Frau verpasst.

Erst war ich verärgert, da ich eigentlich meine Versprechen immer halten will, doch dann wurde ich wieder ruhig.

Sie ist Gott – und der weiß, dass ich von ganzem Herzen, mit aller Tiefe kommen wollte/will. Er wird lachen und denken: Brigitte hat sich wie schon oft in ihrem Leben mal wieder verlaufen, geht Umwege. Tja, das ist Leben – mein Leben. Ich war auf dem richtigen Weg, nur umständlich, mit Abweichungen.
Ist das nicht auch etwas, was Gott mir sagen will, dass ich im Grunde auf dem richtigen Weg bin, mich nur manchmal verirre aus Gedankenlosigkeit, Unwissenheit, Unsicherheit, blind auf meinem Weg, warum auch immer. Dass ich dennoch gelassen und ruhig bleiben soll und so wieder auf den richtigen Weg komme. Er liebt mich so wie ich bin. Ihm Vertrauen!

Auf dem Weg wurde ich auch noch aufgehalten, wegen Infos über Steinigungen von Frauen im Irak. Bettlerinnen saßen am Wegessrand.

Ich hatte kein Geld dabei, mein Gedanke: Ich kann euch nichts geben, außer mich und mein Gebet für euch. Nur mich.
Will er mir damit sagen, dass es wichtig ist hinzu schauen, sich anrühren zu lassen und mit den mir gegebenen Möglichkeiten zur reagieren.
Am diesem Abend war mir klar, dass ich in dieser Ruhe äußerlich wie innerlich bleiben will. So bin ich mit Vera nach der Abendrunde noch in die Kirche zum sitzenden Schmerzensmann. Ich schaue auf seine Beine und denke da kann ich mich anlehnen – wieder wie im Liegestuhl. Es fällt mir der Satz ein: Sie lagen, saßen ihm zu Füßen.

Kurz dachte ich. Marta und Maria – eh nicht mein Thema.

Bin dann ins Bett und hab in der Bibel nach der Stelle gesucht und nicht gefunden.

Morgens beim Frühstück – hab ich Thomas gefragt und prompt kommt die Antwort:

Marta und Maria. Er schlägt die Bibel auf und legt sie mir neben meine Tasse.
Na dann soll es wohl so sein. So bin ich mit diesem Text wieder in die Kirche zum Schmerzensmann. Erst hingesetzt und dann hingelegt. Irgendwann dachte ich, da stimmt was nicht, du drehst ihm den Rücken zu. Maria saß ihm zu Füßen – war Hörende. Du musst ihn anschauen. Oje ich schau dem Schmerzensmann in die Augen – der hatte keine, nur Kälte hab ich empfunden. Da bin ich nichts wie weg, um den Menschen auf der Straße in die Augen zu schauen, um darin die Wärme, Liebe, Güte zu sehen. Paah nichts da, keiner hat mich richtig angeschaut. Da fiel mir ein, dass ja Jesus bei Marta und Maria zu Gast war, also dachte ich wart mal ab.

So bin ich wieder zurück, um mich mit einem Kaffee auf meinen „Sofaliegestuhl“ im Flur zu setzen. Da kam Maria, wollte kurz Pause machen und hat sich neben mich gesetzt und sich mit mir ganz lieb unterhalten. Als sie weg war, dachte ich, wow, jetzt war er da, der liebevolle Blick, nämlich in den Augen von Maria. Das wäre dann erledigt – dachte ich und machte mich auf den Weg zur Kirche. Keine Aktion wollte ich, sondern mich still setzen und Hörende sein.

Herrlich, da sitz ich erst allein in der Mitte der Bank und eh ich mich versah, war sie voll mit lauter lieben Menschen. Bernd aus der Gruppe, Michael und Marita und die Freunde aus der Naunyn. „Alle bei mir zu Gast, mit liebevollen Augen, Gesten und Blicken.“ Welch ein Geschenk an mich!

Bleibt noch das Hören. An dem will ich dran bleiben, vor allem jetzt wieder zu Hause. Hören was Gott mir sagen will. Dazu brauche ich Zeiten der Stille, muss ihm die Gelegenheit geben, bei mir Gast zu sein und nicht davonlaufen.
Bedeutet Marta sein bei mir, ständig an meinen Sorgen zu arbeiten, mich anzutreiben etwas zu tun, nur um nicht zur Ruhe und damit vielleicht in die Angst vor der Zukunft zu kommen? Will ich vielleicht nicht hören, was Gott mir sagen will?

Einige Tage zuvor hatte ich in der Naunyn folgenden Text abgeschrieben:
Wenn du lange genug dein Ohr an Gottes Wort hast,
kannst du sein Herz schlagen hören.
Du Gott, der für mich aufsteht, damit ich mich setzen und hören kann??
Sogar sein Herz?
Am Freitag bin ich später aufgestanden, wollte frühstücken und dann zum Schmerzensmann in die Kirche.

Carsten kam auch und hat sich zu mir gesetzt, schaut mich an und bittet mich ein wenig zu erzählen wie ich lebe. Eigentlich hatte ich keine Lust dazu und oh Staunen, ich beginne zu erzählen und zu erzählen. Er fragt nach, hinterfragt vieles, hört zu.
So sitze ich fast 3 Stunden bei ihm, erzähle von meiner Familie, meinen Sorgen, meinen Verletzungen und meiner Beziehung zu meinen verstorbenen Eltern. Von meine Liebe und Fürsorge zu ihnen. Ich rede, Carsten fragt nach. Irgendwann wird mir dabei klar, dass ich zwar oft zu meinen verstorbenen Eltern rede, vor allem zu meiner Mutter, sie um Hilfe für meine Söhne und Familie bitte, nur nicht um Hilfe für mich persönlich. Nur für mich allein, das hab ich schon zu ihren Lebzeiten nicht gemacht, weil ich sie nicht „mit mir“ belasten wollte.

Carsten meint, sie sei jetzt geschützt, ich könnte das jetzt jederzeit tun, ohne Sorge.

Ja, da wurde mir klar, dass ich zum Friedhof gehen werde. Das hab ich dann auch getan, ihr erzählt wie ich mich ganz tief drinnen fühle. Ohne schlechtes Gewissen.

Mama, eile, eile, eile mir zu Hilfe.

Es tat auch gut zu jammern, ohne jemand damit zu belasten oder auf die Nerven zu gehen.
Abends sitze ich mal wieder in meinem „Sofaliegestuhl“ im Flur, da läuft Amos fröhlich an mir vorbei, stoppt plötzlich, fährt mir übers Haar und segnet mich. Wie eine Mutter ihr Kind.
Am Samstag bei der Runde konnte ich sagen, dass es mir gut geht, Freude in mir habe, doch irgendwie ist da noch eine Traurigkeit, die ich nicht benennen kann.
Beim Abschlußgottesdienst berührt mich gleich zu Anfang der vorgesungene Psalm 27. Einer meiner Liebsten.

Die Predigt geht tief. Beim Friedensgruß zieht es mich zu den Anderen und sie um zu haben erfüllt mich mit Freude.

Nach dem Gottesdienst geh ich sofort mit einer jungen Frau nach oben und plötzlich fühle ich. Ja, jetzt ist Ostern auch bei mir angekommen. Nur ein ganz leises Osterhalleluja ist in mir, doch es ist da.
Du Gott, der für mich aufersteht.
Nach jedem Karfreitag folgt Ostern – auch bei mir.