Jedes Kind könnte Jona erklären, dass man Gott nicht davonlaufen kann. Gott ist über-all und er ist überall Gott – (wenn denn das Wort Gott überhaupt noch einen Sinn hat und eine Wirklichkeit bezeichnet. Das weiß jedes Kind).
Jona weiß es auch. Als der Kapitän des Schiffes, mit dem er nach Tharsis in Indien flie-hen will, ihn zur Rede stellt und nach seiner Herkunft fragt, antwortet er mit dem Be-kenntnis: „Ich bin ein Hebräer und ich verehre Jahwe, den Himmelsgott, der das Meer und das Land gemacht hat!“ Sein Glaubensbekenntnis stimmt. Er weiß sehr genau, dass Gott überall ist und überall Macht hat, er, der Schöpfer, der Herr. Aber das bedeutet für ihn nichts mehr. Es ist nur noch eine Phrase. Der Gott zu dem er sich da bekennt, ist kein Gegenüber, kein Partner mehr, zu dem man rufen kann, wenn man in Not ist, der einem Vertrauen einflößt und Gehorsam abfordert und Mut zum Leben macht. Für Jo-na ist dieser weniger als die Götzen für die heidnischen Matrosen sind, die um ihr und ihres Fahrgastes Leben kämpfen, während Jona schläft.
So sehr können Bekenntnis und Verhalten, Kopf und Herz bei einem Menschen ausein-ander fallen. Der Jona auf dem Schiff ist ein frommer Gottloser, ein in die Gottlosigkeit abgeglittener Frommer, dem von Gott nichts geblieben ist als ein bisschen Katechismus-wissen und die Sprache Kanaans. Und Jona ist ja nur ein Spiegel, den ein unbekannter Prediger des 4. oder 5. Jahrhunderts vor Christus, bald nach dem Ende der Babyloni-schen Gefangenschaft, seinem Volke vorhält, damit es sich wiedererkenne: ein Volk, eine Gemeinde, eine Kirche von frommen Gottlosen, für die Gott nur noch eine Phrase ist, eine Ideologie zur Verklärung der traurigen politischen und religiösen Lage.
Gewiss, man kann Gott nicht entkommen.
Aber man kann ihm mit Erfolg davonlaufen. Der Erfolg liegt eben darin, dass der Gott, dem man sich entzogen hat und beharrlich weiter entzieht, schließlich nichts mehr be-deutet, dass er nur noch, wie Sartre sagt, die „Abwesenheit“ ist, der „Spalt in der Tür“. Der Prediger des Jona-Buches macht das sehr plastisch. Denn seine Geschichte ist ja voll von ganz direkten Zeichen und Machtwirkungen Gottes, fast wie ein Märchen voll von solchen Zei-chen. Da ist am Anfang Gottes Befehl: „Geh nach Ninive.“ Jona entzieht sich diesem Befehl und nun kommt die Gottesblindheit über ihn. Und Gott schickt den Sturm. Gott schickt den Schiffskapitän mit einer beschämenden Frage: „Warum betest du nicht?“ So fragt der Heide den Juden! Gott lässt das Los auf Jona fallen, als die Frage entsteht: „Wer hat uns das eingebrockt?“ Gott appelliert an die Scham Jonas durch die Menschlichkeit dieser heidnischen Schiffsmannschaft, die sich einfach nicht entschlie-ßen kann, den Frevler über Bord zu werfen, obwohl das Los entschieden hat: sie ver-suchen es noch einmal und noch einmal, das Schiff zu retten.
Und schließlich schickt Gott den Fisch, das Fabeltier. Er tut wirklich das Mögliche und Unmögliche, um Jona einzuholen, um sich Jona verständlich zu machen, und selbst die heid-nischen Matrosen begreifen es nun, nur Jona, der Fromme, der berufene Prophet begreift nichts. Ihm fällt zu Gott nichts mehr ein. Das ist wichtig: Man kann vor Gott mit Erfolg da-vonlaufen. Denn Gott ist zwar überall. Die ganze Welt ist voll von Gott, von den Zeichen sei-ner Nähe, seiner Güte, seiner Macht. Aber u n s erwartet er nicht überall. Er hat zwar überall Macht. Aber uns ist diese Macht nicht überall offenbar. Er ist zwar am Werk. Aber wir werden nicht überall sein Werk erkennen und uns an diesem Werk sinnvoll beteiligen können. Er braucht zwar überall sei-ne Diener, aber uns, seine Diener, kann er nicht über-all gebrauchen, wo es u n s gerade passt oder nicht passt. Das Rendezvous mit Gott ist überall mög-lich, aber w i r sind an bestimmte Orte bestellt, mit Gott auf eine ganz be-stimmte Weise verabredet. Und wenn uns diese Orte und Weisen nicht pas-sen, dann findet das Rendezvous nicht statt. Und dann kann es geschehen, dass die, die ihre Verabredung mit Gott beharrlich nicht einhalten, am Ende den Eindruck gewinnen: G o t t stelle sich nicht mehr ein, e r lässt uns im Stich. Dabei sind wir es, die nicht kamen, so lange nicht, dass wir den kom-menden Gott nicht mehr zu erkennen vermögen.
Bitte, verstehen Sie mich recht: ich rede nicht von dem verpassten Rendezvous, um für eine Zunahme des Kirchenbesuchs zu werben. Zwar ist in der Tat der Gottesdienst, die Ver-sammlung der Gemeinde, in der das Wort Got-tes ausgelegt und das Brot gereicht wird, einer der Orte, an denen wir mit Gott, mit seiner Wahrheit eine feste Verabredung haben, an denen er ver-sprochen hat, uns zu treffen.
Aber bei Jona und bei der jüdischen Gemeinde des 5. vorchristlichen Jahrhunderts, für die er steht, fehlt es gerade nicht am Gottesbesuch. Im Gegenteil: Mit den Übungen der Fröm-migkeit war alles in Ordnung. Gefehlt hat Jona nicht im Tempel, sondern bei dem anderen Treffpunkt, den Gott mit ihm ausgemacht hatte: Ninive. Gefehlt hat Gott nicht da, wo Gott seine Befehle erteilt, sondern da, wo sie ausgeführt werden sollen: in Ninive; nicht da, wo Gott seine Verheißung erneuert, sondern da, wo er sie erfüllt: in Ninive.
Erst da, wo dieses zweite Rendezvous beharrlich versäumt wird, das Rendezvous in Ninive, da wird schließlich auch das erste, das Rendezvous im Tempel, sinnlos und inhaltslos. Denn wenn Gott uns immer und immer wie-der sagt: „Ich treffe eine dann in Ninive!“ und dieses Treffen kommt nie zustande, weil wir uns nicht einstellen, dann werden diese ständig neuen Verabredungen für Ninive, das beständige Reden vom Christsein im Alltag der Welt, schließlich peinlich bedeutungslos.
Es ist nur konsequent, wenn Jona schließlich auch aus dem Tempel fortbleibt. Das einzige, was er dort zu hören bekommt, als Verheißung und als Weisung, ist dies „Ich treffe euch dann in Ninive!“ Das will er nicht hören. Was soll er also noch dort?
Ohne Bild geredet: Die an innerer Auszehrung leidende Kirche, auch die immer vom Tod bedrohte Gemeinde, kann zweierlei bedeuten: dass Gott nicht mehr kommt oder dass wir ihm nicht nachkommen; dass Gott sich uns entzieht oder dass wir uns Gott entziehen; dass Gott tot oder blind ist oder dass wir blind sind oder taub. Ich bin trotz schlechter Predigten und langweiliger Gottesdienste, trotz unglaubwürdiger Pfarrer und bürokratischer Bi-schofsleitungen – der Meinung, wir sollten es erst einmal noch eine ganze Weile mit der zweiten Erklärungsmöglichkeit versuchen: dass w i r fehlen und nicht Gott.
Weil Jona nicht nach Ninive will, wird Gott für ihn zur Phrase und schließlich der Tempel sogar zur Geisterbahn.
Warum will Jona nicht nach Ninive?
Ninive heißt im AT an anderer Stelle einmal die „Blutstadt“. Ninive ist die Zone des Bösen, des ansteckenden Bösen. Der Name ist für die Juden des 5. Jahrhunderts, lange nach der Zerstörung des historischen N., einfach ein Symbol für die Hölle auf Erden, wie für uns vielleicht Auschwitz, Hiroshima, Vietnam, Dresden. N. Ist das, was man flieht, wenn man leben will; das, was uns krank macht vor Angst und Verzweiflung und Empörung und Enttäu-schung. Ninive, das ist der äußerste Gegensatz zu Gott und zu allem wofür er steht: Leben, Friede, Wahrheit, Gerechtigkeit, Glück, Liebe. Ich muss Sie bitten , da selbst ein Stück Übersetzungsarbeit zu leisten. Ich weiß ja nicht, wo für Sie, für Sie persönlich die Hölle auf Erden ist, welcher Name Ihnen da einfällt oder welcher Ort, welche Aufgabe oder welche Schuld, die Sie auf sich geladen haben, welches Glück, das Ihnen zerbrochen ist. Ich weiß nicht, welches Stück Wirklichkeit für Sie der äußerste Widerspruch gegen Gott ist und gegen alles, was Gott bedeutet. Ich könnte mir denken, dass der eine da an Krebs denkt, der andere an Altwerden, der andere an Einsamkeit …
Wichtig ist nur: Jona wird genau dahin bestellt, wo der Name Gott und alles Herrliche, für das er steht, sinnlos wird. Er wird genau an den Ort bestellt, den er mit Gott auf keine Weise zusammen denken kann. Und es wird ihm gesagt: Dort will ich dich treffen. Dort brauche ich dich! Dort wirst du meine Herrlichkeit sehen.
Es gibt eine Übersetzung dieses Sachverhaltes. Jesus wird von Gott genau an den Ort bestellt, der für ihn der äußerste Gegensatz zu seinem Vater im Himmel ist: ans Kreuz, an dem Ort der Gottverlassenheit. Wer nicht ver-steht, warum Jesus im Garten gebetet hat: „Bitte nicht, Vater!“ der versteht auch nicht, warum Jona davonlief. Wer aber wenigstens ahnt, dass und wa-rum das Kreuz für Jesus der eine unmögliche Platz in der Welt ist, der eine Platz, an dem das Wort „Vater im Himmel!“ sinnlos zu werden scheint, der begreift auch, warum Jona nach Tarsis wollte. Es war immer noch besser als Ninive.
Bestellt aber ist er nach Ninive. Bestellt bin auch ich an den Ort, an dem ich nach allem, was ich weiß, verloren sein muss, an dem ich nicht mehr werde glauben, die Bibel lesen, am Gottesdienst teilnehmen, an Gott denken kön-nen. Was bedeutet das, dass ich gerade dahin bestellt bin? Entweder ist das ein schrecklicher Hörfehler, eine Einflüsterung des Teufels. Oder ich werde wirklich von Gott selbst in die Hölle auf Erden verdammt. Oder ich werde erleben, wie Gott entlarvt wird wie ein Geschwätz. Oder – und das ist viel-leicht die schlimmste Möglichkeit – Gott, der Gott meiner Väter, hat sich schrecklich verändert, er ist ein ganz anderer, ein viel größerer, unbekann-ter, schrecklicherer Gott, als ich dachte, ein Gott, den ich völlig neu erlernen muss, der mir zu groß ist.
Darum läuft Jona davon. Darum laufe ich davon. Darum laufen vielleicht auch Sie davon.
Aber, und das ist die wundervolle Botschaft dieses Büchleins: Meine Füße werden mich auf dem Umweg über Tharsis doch wieder nach N. tragen. Das wird schon in diesem Kapitel sichtbar. Er, der fromme Mensch, will fort von der Hölle auf Erden und gerät in den Sturm auf dem Meer, den Ort, wo für den Juden Gott nicht mehr da war.
Er wollte weg von dem Ort, wo der Mensch sich aufgibt und dem Tod verfällt, und doch trifft ihn der Fluch dieses Loses – als Frevler: „Werft mich ins Meer.“ Und da wird er mitten im Tod, wo der Name Gott doch sinnlos er-scheint, von Gott erwartet und bewahrt.
Deshalb hat de Christenheit Jona im Bauch des Fisches mit Jesus im Grab verglichen, und der Vergleich ist sachgemäß: Mitten im Tod trifft Jona das Leben, Mitten im Gericht trifft ihn die Gnade, mitten in der Hölle sieht er den Himmel offen, mitten in der Zone der Gottverlassenheit erfährt er, dass Gott wirklich der Herr ist über alles. Er wollte nicht nach N. – Aber nun ist N. über Jona gekommen, Gott ist eben auch in N. Gott!
Aber das Buch Jona geht noch einen Schritt weiter. Es verheißt uns Flücht-lingen vor Gott, dass das Gericht Gottes ein Gericht zum Leben sein wird. Der Gott, der seinem Flüchtling Jona selbst in der Hölle des Untergangs den Himmel der Bewahrung bereitet, weil er ihn lieb hat, sollte der nicht ver-trauenswürdig sein, wenn er uns beharrlich und immer wieder nach N. be-stellt, an den Ort der Anfechtung? Jesus hielt das Ren-dezvous mit Gott ein und ging ans Kreuz und – fand das Leben. Jona ließ Gott im Stich und floh nach Tharsis und verfiel dem Tod – und fand das Leben. So ein Gott ist Gott!!
Heißt das: es ist also gleichgültig, ob wir den Weg des Jona gehen oder den des Jesus? Die Flucht ist lebensgefährlich, gar nicht zuerst für Jona – aber für Ninive. Gott bestellt uns nach N., weil er uns dort braucht. Er will N. ret-ten und braucht uns als Helfershel-fer und Zeugen dieser Rettung. Wir spie-len mit dem Leben von N., wenn wir uns Gott entziehen. Zwar liebt Gott seine welt-flüchtigen Frommen ohne Ende. Aber er liebt auch seine gefährliche Welt ohne Ende. Wehe uns, wenn Gottes Liebe wählen müsste zwischen uns Flüchtlingen und der gefährdeten Welt. Denn es ist nach allem, was wir wis-sen durch diesen Tod Jesus, nichtig zweifelhaft, wie Gottes Wahl ausfällt.
GOTT WÄHLT SEINE WELT.
2. 2. ÜBERALL ist Ninive – ÜBERALL ist JOSA !
Der Name Ninive ist für die Juden das, was für uns die undurchschaubare Verflechtung von Macht, Unmenschlichkeit und Gottlosigkeit ausmacht: in Ninive wurden die grau-samsten Foltermethoden, die der Orient kannte, er-sonnen. Ninive war der Inbegriff der heidnischen Greul und sittlichen Verruchtheit. Ninive, groß und schrecklich in sei-ner Grausamkeit, faszinierend und verhasst. Ninive war ein Stück böser, aber auch ver-lockender Welt. Ninive war die Welt!
Auch mit Jona ist kein einzelner gemeint. Jona repräsentiert vielmehr eine ganze Gene-ration in Israel, in gewissen Sinne das späte Judentum überhaupt. Doch Jona ist nicht auf Israel beschränkt. Jona wird es immer geben solange es Menschen gibt.
Jona steckt in uns allen.
Man kann diesen Jona verstehen. Er steht für jene Israeliten, die inmitten einer heidni-schen Welt: mitten im faszinierenden Kulturbetrieb einer erfolgreichen Großmacht; mitten im babylonischen Reich das Bekenntnis zu ihrem Gott aufrechterhielten. Sie konnten die Bedrängnis und Anfechtung des Exils nur durchhalten, wenn sie ihren Glauben vor den neuen Erfahrungen abschirmten und wehrhaft machten wie eine Fes-tung. Nichts Fremdes durfte eindringen. Es durfte keine Kompromisse geben. Nichts Fremdes durfte eindringen. Es durfte keine Kompromisse geben. Die Verschleppung nach Babylon, die neue Lebens-weise und die neue Lebensweise und die Erfordernisse jener neuen Umwelt, hatten die verschleppten Juden zwar aus ihrer Sicherheit geris-sen. Aber man suchte von den Er-fahrungen der Vergangenheit zu leben.
Zwar hatte Israel im Exil deutlicher als je zuvor erlegt, dass Gott an allen Völkern han-delt. Gott hatte Babylon gerufen, um Israel zu züchtigen, den Kyros, den König der Per-ser, wiederum, um Babylon wieder zu vernichten und Israel die Heimkehr zu ermögli-chen. Jahwe hatte sich als Gott über alle Völker erwiesen über alle Völker, aber zugun-sten Israels. Die Umkehrung dieses Satzes aber verstand Israel nicht: GOTT über Israel für alle Völker. Und das gerade war wohl in dieser Zeit zu lernen. Israel aber zog sich von den Völkern zurück. Scheidung war die Parole. Scheidung zwischen Gottes Volk und den Heiden. Unter großen Opfern wurde der Tempel wieder auf-gebaut. Kein heid-nischer Fuß durfte ihn betreten. Ein Hohepriester an der Spitze achtete auf die Reinhal-tung von Glauben und Kult. Jeder Ver-stoß wurde hart geahndet. Nur auf dem durch Gesetzt geregelten Wegen durfte man mit Gott verkehren. Ein heiliges Gesetz regelte das Leben und umgab es mit einem Zaun, hinter der Gottes Herde sich sicher fühlte. Gegen das Neue wehrte man sich durch Aufstellen eines Verzeichnisses Norm-gebender Schriften. Neue Theologie konnte damit als zweit-rangig abgedrängt werden. Neue Got-teserfahrung durfte de alte nur bestätigen oder wurde als ketzerisch, illegitim bearg-wöhnt.
Aber Konnte das Volk sich auf die Dauer so abschließen? So verschließen? War das Neue, das auf Israel einstürzte, nicht Teil der unberechenbaren Zukunft, in die Gott sein Volk hineinführten wollte? Verlor Israel nicht gerade dadurch seine Vergangenheit an der es so zäh festzuhalten versuchte, dass es sich von seiner Zukunft verschloss?
Israel soll zum Heil der Völker werden. Kommt aber Israel nicht diesem Auf-trag nach, wird es zum Fluch. Der Jahwe davonlaufende Jona wird zum Fluch für das Tharsis-Schiff. Ja, er wird unmenschlich und hat nichts dagegen, wenn die heidnische Zeit un-tergeht. Glaube und Güte, Frömmigkeit und Menschlichkeit müssten Geschwister sein. Aber man kennt ja zur Genüge jene Art von Glaube, die über Leichen geht und sich dabei seiner Rechtgläubigkeit brüstet.
Doch Israel wird sich selbst zum Fluch, wenn es Gott davonläuft. Israel verliert Gott, wenn es nicht nach Ninive geht. Es verliert ihn – trotz Tempel und Lobgesang. Als Gottes Volk kann es nur bestehen, wenn es da ist für die an-deren. Jona kann nur leben als Jona für Ninive. Israel kann sich nur retten, wenn es die anderen rettet. Israel ver-dirbt, wenn es sich verbirgt.
Das Jona-Büchlein endet mit der Frage Gottes: Sollte es mich nicht Jammern um Ninive, um eine Stadt mit 120 000 Menschen, die zwischen Heil und Unheil nicht zu unterschei-den wissen.
Jesus stellt diese Frage neu und besonders dringlich. Er verkündet Gottes Liebe zu allen, selbst zu den Sündern, in völlig überraschender Weise. Wo die Gruppen des Judentums Gericht und Urteil erwarten, rief er Sünder an seinen Tisch und in seine Gefolgschaft. Wo sie die Kranken als schuldig verurteilten, schenkte er Heilung als Zeichen des An-bruchs der Herrschaft Gottes. Wo sie Scheidung und Exkommunikation forderten, be-rührte er Verfemte und sprach Deklassierten das Heil zu.
Das Gleichnis vom gütigen Arbeitsherrn, der auch den in der letzten Stunde gekomme-nen den ganzen Denar gibt (verlorener Sohn) stellen die Frage des Jona-Buches an das Israel jener Tage neu: „Warum wirst du böse, wenn ich gut bin?“ (Mt 20,15) „Lieber Sohn, wir müssen doch feiern, wenn dein Bruder zurückgekehrt ist!“ (Lk 15,32). Die Antwort blieb diesmal nicht aus. Als Freund der Zöllner und Sünder schlug man Jesus ans Kreuz. Doch damit ist die Frage nicht erledigt. Wo man sich zu Christus bekennt, darf sie nicht verstummen.
Dies ist die vollständige Abschrift der beiden Dokumente, die im Archiv des Katholischen Militärbischof liegen. (Mgeistl. IV/A.8.32)
Christian Herwartz