Der Jesuit, der mit Tattoos von seinem Glauben erzählt

Christian Herwartz ist Priester, Ordensmann – und tätowiert Berlin – 10.01.2019

Es fing mit einer kleinen Rose an. Doch inzwischen ist der Körper von Christian Herwartz großflächig tätowiert. Ungewöhnlich für einen über 70-Jährigen, noch ungewöhnlicher für einen Jesuitenpater. Wie es zu seinen Tattoos kam und was er damit ausdrücken möchte, erzählt Herwartz, der lange als Arbeiterpriester in Berlin gewirkt hat, im katholisch.de-Interview.
Christian Herwartz ist Jesuit und Arbeiterpriester. Obwohl er schon in Rente ist, organisiert er noch immer Mahnwachen, Straßenexerzitien und interreligiöse Gebete in Berlin. Herwartz trägt einen langen weißen Bart und auffallend viele Tattoos auf der Haut. Warum, erzählt er im Interview mit katholisch.de.

Frage: Pater Christian, wie viele Tattoos haben Sie eigentlich?
Herwatz: Oh, bei mir sind wohl alle Körperteile tätowiert. Mein erstes kleines Tattoo habe ich mir auf den Rücken stechen lassen. Das war eine kleine Rose. Meistens tätowiere ich mich aber selbst. Ich brauche dazu nur eine saubere Diabetikerspritze und farbige Tinte. Das tut auch gar nicht besonders weh.

Frage: Warum tätowieren Sie sich – als Priester?
Herwatz: Warum nicht? Ich habe als Arbeiterpriester in Toulouse gearbeitet. Als ich einmal zu Besuch bei einer Roma-Familie war, fiel mir beim Fußballspielen ein Junge auf, der sei-nen Rücken komplett tätowiert hatte. Er hat sich die Kreuzigungsszene Jesu mit Maria und Johannes stechen lassen. Das hat mich so tief beeindruckt, dass es mir die Sprache verschla-gen hat. Damals habe ich mir überlegt, ob ich auch den Mut hätte, so zu meinem Glauben zu stehen. In den folgenden Jahren erinnerte ich mich immer wie-der an diesen Jungen und habe viele Jahre später begonnen, mit Tinte in meiner Haut zu zeichnen. Zuerst waren es nur kleine Symbole, aber dann wurden die Tattoos immer größer und ausdrucksstärker.

Frage: Ist ein Kreuz auch dabei?
Herwatz: Ich muss mal nachschauen … Ja, hier am Oberschenkel ist ein ganz winziges. Ich habe aber auch einen wirklich großen Anker auf dem Rücken, der ein Zeichen für die Taufe ist. In ihm wird auch ein Kreuz sichtbar. Doch ich habe kein Interesse kitschige Ornamente auf meiner Haut zu sehen. Ich erzähle lieber Geschichten.

Frage: Geschichten aus der Bibel?
Herwatz: Ja, die Geschichte von Mose und dem brennenden Dornbusch etwa. Die dornigen Zweige habe ich mir deshalb auf den linken Unterarm tätowiert. Der Dornbusch ist für mich ein Zeichen für eine intensive Gottesbegegnung. Nur die Liebe brennt und verbrennt nicht, genau wie der Dornbusch in dieser Erzählung. Mose wird darauf aufmerksam und geht hin, um sich das anzuschauen. Auf dem Weg dorthin ereignet sich dieser eine Moment für ihn, der zum Wendepunkt in seinem Leben wird, ein Berufungserlebnis. Für mich bedeutet das, dass Gott immer da zu finden ist, wo man ihn am wenigsten erwartet. Diese Geschichte könnte auch meine eigene sein. Wie die von Jona im Fischbauch. Der ist auch immer wieder wegge-laufen. Auch dazu habe ich ein Tattoo.

Bild: © Jesuiten / Vera Rüttimann 2016 hat sich Pater Christian Herwartz aus der „Jesuiten-WG“ in Berlin Kreuzberg verabschiedet. Er organisiert weiterhin Mahnwachen, interreligiöse Gebete und Exerzitien auf der Straße.

Frage: Wovor sind Sie davongelaufen?
Herwatz: Ich habe mich lange gegen meine Berufung als Priester gewehrt. Ich habe den Chef da oben einfach nicht verstanden, warum er gerade mich dafür haben will. Das musste er mir erstmal erklären. Als Jugendlicher war ich gar nicht fromm, eher ein Besserwisser. Oft stand ich auf der unverstandenen Seite. Irgendwann habe ich aber nachgegeben und bin Jesuit und dann Priester geworden. Ich habe mich aber immer als Missionar verstanden, als einer, der mit den Leuten unterwegs ist.

Frage: Was meinen Sie damit?
Herwatz: Nach meiner Zeit als Arbeiterpriester in Frankreich habe ich mit einem Mitbruder in Berlin eine offene Wohngemeinschaft gegründet. Jeder war eingeladen, mit uns mit zu leben. In meinem Schlafzimmer gab es sieben Betten und in der Wohnung auch noch ein paar mehr. So konnten wir jederzeit spontan Gäste aufnehmen. In unserer Jesuiten-WG lebten Obdachlose, politisch Verfolgte, Geflüchtete, illegal in Deutschland lebende Auslän-der, aus der Haft Entlassene und auch Leute, die auf der Suche nach dem Sinn ihres Lebens waren. Ein Aufenthalt bei uns kostete nichts. Alle waren willkommen. Ich habe nie nach den Gründen gefragt, warum einer zu uns kam. Wenn ein Bett frei war, hat er es bekommen. Wenn keines frei war, habe ich auf dem Boden geschlafen.

Frage: Wie kam dieses WG-Projekt bei Ihren Mitbrüdern an?
Herwatz: Nicht so gut. Die Ordensoberen haben mich schon verstanden, aber die bürgerli-chen Mitbrüder dachten, ich hätte einen Vogel. Manche verachteten mich sogar, weil für mich nicht nur die Jesuiten wie Brüder waren, sondern alle Menschen, die in Not waren. Ich habe alle als eine große Gemeinschaft gesehen. Dafür bin ich oft angegriffen worden.

Frage: Wie haben Sie auf die Angriffe reagiert?
Herwatz: Weiter machen! Jesus ist dem Dreck der Welt auch nicht aus dem Weg gegangen. Er hat sein Leben draußen mit den Menschen, die am Rande standen, verbracht. Nicht um-sonst sagt er im Johannesevangelium: „Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben“ (Joh 14,6). Für mich ist „der Weg“ die Straße, auf der die Menschen unterwegs sind. Ich wollte niemanden etwas vorpredigen. Das bringt auch gar nichts. Es geht mir darum, mit den Men-schen solidarisch zu sein. Wenn ich wissen will, wie es ihnen geht, muss ich mit ihnen das Leben teilen. Daran können wir christliches Verhalten erkennen. Ich habe lange Zeit als Dre-her, als Möbelpacker, als Lagerist und als LKW-Fahrer gearbeitet. Das war Akkordarbeit. Aber ich wollte die Kluft zwischen den bürgerlichen, akademisch gebildeten Priestern und den einfachen Menschen überbrücken. Jesus hat die Menschen auch nicht betreut wie die Caritas, sondern mit ihnen gelebt. Man muss mit den Menschen auf die Straße gehen und die Schuhe dabei ausziehen. Zum Beispiel die Schuhe der Fremdheit, der Distanz und der Über-heblichkeit.

Frage: Zurück zu Ihren Tattoos. Darf man als Priester überhaupt täto-wiert sein?
Herwatz: Warum nicht? Diese Frage habe ich mir nie gestellt. Ich möchte meine Tattoos nicht verstecken. Sie erzählen von meinem Glauben. Die Reaktionen darauf sind sehr unter-schiedlich. Manche fühlen sich dadurch ermutigt, viele schütteln den Kopf. Die finden mein Verhalten absurd und meine Tattoos reinen Quatsch. Aber ich wollte nie als Priester mit einer Haushälterin in einem schicken Pfarrhaus enden. Ich wollte Missionar sein, der andere nicht bequatscht, sondern mit den Menschen mitgeht. Daher organisiere ich bis heute Straßenexerzitien, damit die Menschen verstehen, was es heißt, mit Gott auf dem Weg zu sein.

Frage: Haben Sie Gott auch auf Ihrer Haut verewigt?
Herwatz: Nein. Gott kann man nicht darstellen, man kann nur Spuren von ihm im Leben entdecken. Wenn einer zu mir käme und behaupten würde, so sieht Gott aus, dann kann ich nur lachen. In der Bibel steht, dass Gott all unseren Namen auf seine Hand eingeschrieben hat (Jes 49,16). Ich verstehe das so, dass er sich alles eintätowiert hat. Wenn Gottes Hände tätowiert sind, dann kann ich das auch mit meiner Haut machen und von meiner Sehnsucht nach ihm erzählen. Wahrscheinlich würde ich auch mein Herz tätowieren lassen, wenn ich es könnte. Es ist meine Leidenschaft, meine Berufung und mein Drang, Gott durch mich wirken zu lassen.

Frage: Tattoos kann man allerdings nicht mehr abwaschen.
Herwatz:
Das will ich auch nicht, denn das ist wie ein Gesamtwerk, das zu mir gehört und mit dem ich lebe. Gut, dass die Tattoos nicht abwaschbar sind, denn sonst müsste ich alle wieder neu draufschreiben. 

Frage: Kommen noch neue in nächster Zeit hinzu?
Herwatz: Nein, ich glaube, das reicht nun. Es gibt auch keinen Platz mehr dafür.

Frage: Sie waren vor zwei Jahren im Rahmen der Armenwallfahrt bei Papst Franziskus. Haben Sie ihm Ihre Tätowierungen gezeigt?
Herwatz: Nein, bei der Audienz mit dem Papst habe ich einen Pullover getragen. Ich hatte bei der Visite andere Anliegen. So sollte ich ihm eine Doktorarbeit über die Exerzitien auf der Straße übergeben und das habe ich auch getan. Der Papst hat den Buchtitel gelesen und verstanden und dann schlicht und einfach gesagt: „Bete für mich“. Das hat getroffen.

Von Madeleine Spendier

Christian Herwatz (75) kommt gebürtig aus Stralsund und absolvierte zuerst eine Offiziers-ausbildung bei der Bundeswehr. Danach studierte er Maschinenbau, trat bald darauf in den Jesuitenorden ein und wurde Arbeiterpriester. Viele Jahre arbeitete er als Dreher, Lagerist, LKW-Fahrer und Möbelpacker. Dabei setzte er sich für die Rechte von Angestellten und bes-sere Arbeitsbedingungen ein, oft ohne als Priester erkannt zu werden. 1984 gründete er in Berlin-Kreuzberg mit einem Mitbruder eine offene Wohngemeinschaft, die bis heute besteht. Finanziert wurde das Projekt zum Teil von den Jesuiten selbst. Vor zwei Jahren ist Herwatz ausgezogen und in Rente gegangen. Noch heute organisiert er Mahnwachen, interreligiöse Gebete und Straßenexerzitien. 2013 wurde Herwatz für sein Engagement gegen die Krimina-lisierung von Flüchtlingen vom Ökumenischen Rat Berlin-Brandenburg mit einem Ökumene-Preis ausgezeichnet.
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